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PASCAL KESSELMARK, 27. Januar 2022

Was sich 2019 zuerst wie eine Schnapsidee anhörte – mit 50 PS durch die Wüste zu fahren – wurde im Verlauf der letzten zwei Jahre immer konkreter und diesen Oktober zu einem «Once in a Lifetime»-Erlebnis, welches mich für immer prägen wird.

Ungewissheit bis zum Schluss

Anfangs Oktober schlängle ich mein Auto durch das Verkehrschaos von Genua in Richtung Hafen. Noch immer verspüre ich eine innere Unruhe, da ich weiterhin nicht glauben kann, dass es trotz Corona nun doch klappen soll. Die letzten Monate waren eine Achterbahn der Gefühle. Richtig entspannen kann ich erst, wenn ich meinen Fuss auf den afrikanischen Kontinent setze und weiss, dass nun das Abenteuer beginnt. Zuerst sollte sich aber ein arabisches Sprichwort mehrmals bewahrheiten: Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit… Das fing schon beim Warten auf die Fähre im Hafen von Genua an.
Als ich drei Tage später die marokkanische Atlantikküste Richtung Süden entlangfahre, ist diese Unruhe verflogen. Nach all den Monaten der Vorbereitung und des Hoffens – der ursprüngliche Start vom Mai 2021 musste verschoben werden – bin ich endlich in Afrika unterwegs. Und wie! Ich nehme an einer Low-Budget-Rallye teil; dem Europe-Africa-Rodeo. Es geht dabei aber nicht um Geschwindigkeit, sondern einzig und allein ums gemeinsame Durchkommen und nebenbei so viele Schlaglöcher wie möglich zu finden. Ob ich daran aus Leichtsinn oder infolge Midlifecrisis teilnehme, lassen wir einmal dahingestellt – mein Umfeld hat da übrigens seine eigene Theorie. Das Schöne daran ein reiferes Alter zu haben ist, dass einen die Meinung der anderen nicht mehr wirklich interessiert… und dann hat man grenzenlosen Spass!

Bis der Rost uns trennt

Rallye hört sich gefährlich, schnell und teuer an. Genau das war es bei uns eben nicht. Beim Gefährt gab es nur eine Anforderung zur Teilnahme am Europe-Africa Rodeo, die hatte es aber in sich: Das Auto oder Motorrad darf maximal 50 PS haben. «Geländefahrzeuge sind für den Camel Man, aber nicht für uns. Mit einer kleinen Kiste nach Afrika – ­ that’s the way we do it!» So zumindest heisst es auf der Webseite des Veranstalters Backroadclub. Eine Ausnahme gab es aber noch: Fahrzeuge älter als 20 Jahre dürfen auch bis zu 60 PS haben, denn in den Jahren sind wahrscheinlich ein paar der Pferde ausgebüxt.
Gesagt, getan, kaufte ich mir für 400 Franken auf Tutti einen Subaru Justy mit Jahrgang 1986 und sagenhaften 54 PS, ungesehen und «ab Platz». Dafür mit zuschaltbarem Allradantrieb. Genau dieses Modell hatte ich damals als 18-Jähriger. Da sind wir wieder beim Thema Midlifecrisis oder Leichtsinn, wenn man mit einer Konservendose 5000 km über Stock und Stein in Afrika rumfahren will… oder eben beim echten Abenteuer. Zuerst musste aber das Auto in rund 200 Arbeitsstunden wieder MFK- und dann Tourentauglich gemacht werden. Heute nur noch ein Schreibtischtäter, habe ich Gott-sei-Dank in jungen Jahren zuerst eine Handwerkslehre gemacht. Das kam mir beim Flexen, Schleifen, Dengeln, Schweissen und Verdrahten zur Hilfe. Mit 35 Jahren auf dem Buckel ist der Justy sogar ein waschechter Oldtimer.

Pannen an der Tagesordnung

Wenn sich rund 50 leistungsschwache und mehrheitlich klapprige Fahrzeuge auf eine so lange Reise über teilweise unbefestigte Strassen und Pisten machen, dann sind Pannen vorprogrammiert. Vor allem bei den Motorrädern gab es infolge der stärkeren Beanspruchung – einige meinten am ersten Tag schon, dass sie an der Paris-Dakar teilnehmen – verhältnismässig viele Schäden. Mein Fahrzeug hatte lediglich einen Platten, aber für den Fall hat man ja auch stilgerecht zwei Ersatzräder dabei. Hier eine unvollständige Auflistung der Probleme bei den anderen Teams: Plattfüsse, Zündverteiler defekt, Ölwanne undicht, Zylinderkopfdichtung defekt, Kupplungskabel gerissen, Benzinhahn abgerissen, Felge eingedrückt, Kupplung defekt, digitale Einspritzung in Rauch aufgegangen uvm. Und das teilweise an Orten, wo es weder Strassen noch Mobilfunkverbindungen gab.
Aber genau das machte den Reiz an der Reise aus. Das gemeinsame Lösen der Probleme, das Beschaffen der Ersatzteile in einer fremden Kultur oder nur schon die Kommunikation mit dem Automechaniker, wenn man keine gemeinsame Sprache sprach.
Marokko hat mich auch hier immer wieder aufs Neue überrascht. In der Regel wurden innert wenigen Stunden die notwendigen Ersatzteile organisiert und die Rallye-Fahrzeuge wieder auf die Strasse gebracht. Für Gesprächsstoff und gemeinsames Schrauben war zumindest immer gesorgt. Und eines habe ich auch gelernt: In Marokko ist man nie allein. Bei einer Panne oder wenn die Karre im Sand stecken bleibt, erscheinen plötzlich Einheimische und helfen einem. Egal wie abgelegen man ist. Unglaublich.

Campen im militärischen Sperrgebiet

Erlebnisse von der Reise gibt es viele, davon werde ich noch viele Geschichten schreiben. Eines meiner persönlichen Highlights war das Wildcampen etwas unterhalb von Tan-Tan, auf der gleichen Höhe wie die Kanarischen Inseln. An dieser Küste gibt es viele Schmuggler und deshalb ist dieser Abschnitt vom Militär sehr stark bewacht. Das wussten wir nicht, respektive haben im Halbdunkel nicht gemerkt, dass wir uns genau dort befinden, als wir von der RN1 (Nationalstrasse) abfuhren und auf einer Piste ans Meer zum Zelten wollten. Nach ein paar Kilometer Offroad kamen wir dann auch auf den Klippen an. In etwa 200 Meter Entfernung stand ein einzelnes bewohntes Haus. Wir stellten unsere drei Auto zu einer kleinen Wagenburg zusammen und bauten als erstes unsere Zelte auf. Da wir seit dem Frühstück unterwegs nur kleinere Snacks gegessen hatten, liefen bei allen als nächstes die Gaskocher auf höchster Stufe.
Doch plötzlich scheint vom Haus ein Scheinwerfer zu uns rüber und dann bewegt sich das Licht auf uns zu. Ganz unauffällig verstecken wir unsere Bierdosen, wir wollten doch keinen schlechten ersten Eindruck bei der Person hinterlassen, die offensichtlich auf dem Weg zu uns ist. Ein Mann in typisch marokkanischer Kleidung – einer Djellaba – erscheint. Er erklärt mir auf französisch, dass hier militärisches Sperrgebiet sei und wir hier nicht bleiben dürfen. Ich fragte ihn, ob man nicht für eine Nacht eine Ausnahme machen könne. Fragen kostet ja bekanntlich nichts. Er schaute mich an und sagte dann, dass ich ihm meinen Pass geben solle. Den gebe ich ihm und dann sagte er mir, dass er in zehn Minuten zurück sei. Total überrascht, stand ich nur perplex da und lies ihn mit meinem Pass, meinem wichtigsten Dokument, davonziehen. Wir machten Witze, dass er nun auf dem Weg nach Tanger sei, um mit meinem Pass auszureisen. Innerlich war ich aber gar nicht mehr entspannt. Hatte ich jetzt einen Fehler gemacht? War es das mit meiner Reise? Umso erleichterter war ich dann, als der Lichtkegel nach einer gefühlten Ewigkeit wieder in unsere Richtung marschierte. Der Mann kam wieder zu uns und las jemandem am anderen Ende des Telefons unsere Autonummern vor. Danach gab er mir den Pass zurück und meinte, dass nun alles geklärt sei und wir hier übernachten dürfen. Wie geil ist denn das? In einem Land, wo Wild-Campen offiziell verboten ist und dann noch in einem militärischen Sperrgebiet, lassen die ein paar Touristen in ihren alten Klapperkisten übernachten. Ich glaube das wäre bei uns niemals möglich gewesen. Am Abend sahen wir noch einige Patrouillen an uns vorbeilaufen. Keine davon hat uns irgendwie belästigt. Diese Nacht habe ich sehr gut geschlafen.

Marokko ein wunderschönes Land zwischen Tradition und Moderne

Wenn man 5000 km auf Nebenstrassen oder eben keinen Strassen durch ein Land reist, dann lernt man dieses wirklich kennen. Man reist so wie die Einheimischen. Man sieht wie sich die Flora verändert, aber auch, dass es zwischen Stadt und Land und Nord und Süd eine riesige Wohlstandskluft gibt.
Deshalb war die Rallye auch mit einem gemeinnützigen Projekt gekoppelt. Wir sammelten Geld für die gemeinnützige Organisation «Child Care Afrika», damit eine Vorschule für drei bis sechsjährige Kinder gebaut werden kann. An dieser können die Kinder dann genügend gutes Französisch lernen, um nachher die reguläre Schule besuchen zu dürfen. So nach dem Motto: Wir haben Spass und das auch noch für einen guten Zweck. Auch ein Zwischenstopp bei der Schule war eingeplant. Die Dorfbewohner haben uns wie Könige empfangen. Teppiche aus Privathäusern wurde für uns geholt, damit wir bei beim Essen nicht auf dem Boden sitzen mussten. Und das Essen selbst war der Hammer. Das war die mit Abstand beste Tajine in ganz Marokko.
Allgemein spürten wir die unglaubliche Herzlichkeit der Marokkaner, die einen immer zu helfen versuchten, auch wenn das manchmal sehr anstrengend sein konnte. Sogar Polizisten, die uns an einem Checkpunkt – und davon gibt es in Marokko viele – nicht weiterfahren liessen, luden uns zum Tee ein. Die Einladung nahmen wir natürlich an. Oder auch ein paar Tage später, als Abdullah, ein junger englischsprechender Bauer, uns zum Tee einlud. Auch dort sagten wir nicht nein und genossen im Schatten seiner Bäume einen wunderbaren Pfefferminztee mit wundervollen Gesprächen über unsere Länder und Leben. Vor Corona war das Leben für viele Familien auf dem Land schon sehr hart. Aktuell ohne Touristen fällt bei vielen die einzige Verdienstmöglichkeit weg und die Leute kriegen – im Gegensatz zur Schweiz – keinerlei Unterstützung vom Staat. So kauften wir auch bewusst unsere Verpflegung in kleinen Läden auf dem Lande ein und nicht in den westlichen Einkaufzentren in den Städten.
Die von uns anvisierten Campingplätze waren entweder komplett geschlossen oder mussten für uns aufgemacht werden. Wir haben auf keinem einzigen Campingplatz in den 20 Tagen «fremde» Touristen getroffen. Wenn, dann waren nur Teilnehmer unserer Rallye dort.

Mehr als 2 TB Daten und viel zu tun in den nächsten Monaten

Das war nicht die erste solcher Reisen für mich, ich konnte bereits Erfahrungen zum Beispiel durch Osteuropa sammeln, wo ich schon an einer Pothole Rodeo teilgenommen hatte. Eine Sache, welche mich jedes Mal nach einem solchen Trip nervte, war dass ich nicht mehr genau wusste, wann ich wo war und dass ich nicht genug fotografiert und gefilmt hatte. Dieses Mal sollte aber alles besser sein. Egal wir müde ich war und wie spät es wurde, schrieb ich kurz eine Zusammenfassung des Tages in mein Tagebuch. Das wird mir enorm helfen, wenn ich Geschichten zu dieser Reise schreibe, aber auch beim geplanten Film wird dies sehr gute Dienste erfüllen. Alle meine Kameras sind unterdessen mit GPS ausgestattet, das hilft dann auch die Aufnahmen dem richtigen Ort zuordnen zu können. Nun eine Sache hat mich auf dem falschen Fuss erwischt: Je nach Mobilfunkantenne in Marokko zeigte mein Telefon die Zeit 30 bis 90 Minuten falsche an. Da ein Teil meiner Kameras sich mit dem Telefon synchronisieren, resp. darüber die Daten ausgelesen werden, hatten plötzlich die Kameras unterschiedliche Systemzeiten. Was das beim Zusammenstellen der Bilder oder beim noch kommenden Filmschnitt bedeutet, kann sich jeder denken. Und ich habe doch extra noch vor der Abreise alle Kameras synchronisiert.

Bye bye Afrika, hello Europa

Irgendwann sind auch die längsten Ferien vorbei, irgendwann ist man auf den letzten Kilometern der Reise. Nach unglaublich langen und ereignisvollen 20 Tagen fahren wir in Richtung Tanger Med, dem Hafen. Dort treffen wir die gesamte Truppe wieder und warten gemeinsam wieder Stunden bis zur Abfahrt der Fähre nach Italien. Ein einziges Motorrad kommt nicht mehr aus eigener Kraft zurück und kommt auf der Pritsche eines T4-Transporters zurück nach Europa.
Wir haben bloss einen flüchtigen Blick von diesem wundervollen Land mit all den unterschiedlichen Facetten und den herzlichen Leuten bekommen. Bei vielen Teilnehmern war das aber genug, dass sie irgendwann wiederkehren wollen. Einige bereits nächsten Mai.
Wir nützen die über 50 Stunden Überfahrt, um nochmals zu feiern, den anderen von den eigenen Erlebnissen zu erzählen und uns bei allen so richtig zu verabschieden. Denn jedem ist bewusst, dass sobald die Rampen am Schiff unten sind, jeder sich so schnell wie möglich auf den Weg nach Hause macht. Einige müssen noch bis nach Hamburg fahren.
Die Rückfahrt in die Schweiz ist für mich ereignislos. Der Tessiner Zöllner nimmt mich natürlich raus und will wissen, was das mit dem Auto auf sich hat. Als er von Marokko, 50 PS und 5000 km hört, ruft er gleich seine Kollegen und ich muss denen auch nochmals davon erzählen. Ungläubig schauen sie das Auto und mich an.
Natürlich stehe ich vor dem Gotthard im Stau, denn leider ist die Passstrasse wegen Schnees schon bis nächsten Frühling zu und dann auch wieder vor dem Gubrist; wie ich das nicht vermisst habe! Am Tag drauf gilt es das Auto auszuräumen, dann wieder in der Scheune zu versorgen und meine komplette Foto- und Filmausrüstung vom Sand zu befreien und auf etwaige Schäden zu kontrollieren.
In den nächsten Tagen werden die Filmdaten auf den Server überspielt und die Fotos bearbeitet. Mehrere Publikationen stehen an und weitere Autoren brauchen auch noch Bildmaterial.
Werde ich auf meine Reise angesprochen, komme ich jedes Mal wieder ins Schwärmen und quassle alle voll, ob sie es wollen oder nicht. Erst jetzt realisiere ich es voll und ganz: Das war eine echte Adventure Rallye!


Pascal Kesselmark
Redakteur, Sportfotograf und Lings-Kunde

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Lieblingsgegenstand bei LINGS: Canon EOS 1D-X Mark II

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